Vom Gewissen gebissen

Das Gewissen. Warum das wohl so heisst? Ich hab im Wikipedia nachgesehen und Dinge wie Moral und Ethik entdeckt. Mich erinnert das Wort ja an gebissen. Keine Ahnung, ob das etwas Tiefgründigeres ist, aber manchmal scheint sich das Ding tatsächlich festzubeissen. Bestimmt hatte es ursprünglich auch mal etwas mit tatsächlichem Wissen (Bewusstsein) zu tun.

Wir gleichen ja mit diesem Gewissen Erfahrungen ab und stellen sie einer aktuellen Situation gegenüber.  Dabei nehmen wir oft an, andere Menschen denken wahrscheinlich so oder so über die aktuelle Angelegenheit. Meist nehmen wir hier gedanklich Leute in ähnlicher sozialer Konstellation. Sonst könnten wir wahrscheinlich nicht so gut abgleichen.  Oder wir fragen das eigene «Darüber denken».

Ist diese Denkarbeit getan, bewerten wir unsere Angelegenheit entweder

a) anders als vorher oder

b) gleich. Dann bleibt alles beim alten. b) ist bequem, weil wir uns bestätigt fühlen. Was natürlich Quatsch ist, denn dieses Gewissen arbeitet oft nur mit einer Vorstellung. «Wie würden andere das beurteilen?» Wir wissen oft nicht, wie es eine Summe von anderen Menschen tatsächlich beurteilt. Kann man ja schlecht real fragen.  Meistens läuft das aber unbewusst ab. Nicht im Unterbewusstsein übrigens, sondern nur unbewusst im Bewusstsein.

Variante a) finde ich ja das viel interessantere für den eigenen Geist. Jetzt wird’s ungemütlich da oben. Stelle ich fest, dass bspw. andere meine eigene Meinung (bleiben wir bei Angelegenheit) anders bewerten würden, oder gar ablehnen würden. Hab ich wieder zwei Möglichkeiten.

1.) ich entscheide, wie die anderen (Annahme) entscheiden würden. Stelle das Vorhaben ein. Das ist aber evtl. gegen meine eigene Ansicht.

2.) ich bleibe bei meiner Ansicht und erkenne, dass anderen ihre Ansichten nichts mit mir zu tun haben, weil bspw. meine Konstellation (oben hab ich die soziale genommen) eine völlig andre ist. Oder gar, weil ich erkenne, dass es um mein eigenes Leben geht. Und dort besser nur ich für meine eigene Lebensgeschichte entscheide. Ich schreibe mein Buch selbst in jeder Sekunde. Und kommt niemand zu schaden, sollte ich das auch tun. Der Schaden ist übrigens auch oft nur im Kopf bei mir selbst, real schaden wir kaum anderen, da haben wir viel zu viele Warn-Mechanismen sozialer Natur. (Natürlich gehört auch dazu, etwas zu verschweigen, denn nur das Wissen darum verletzt womöglich. Alles ganz normal).

Hier beginnt Freiheit.

Selbstverständlich klärt man immer mit sich selbst ab, was die Konsequenz sein könnte. Und ich spreche hier in diesem Beitrag von einfachen Alltagsentscheidungen. Ich versuche diese Gewissensfrage oft neu zu formulieren mit. «Fühlt es sich richtig oder falsch an für mich?»

Oder «Ist es wirklich wahr?» Auf diese Fragen bekomme ich Ich-Antworten und keine von aussen suggerierten. Ich liebe das Buch von Byron Katie in dem sie konsequent immer wieder fragt «Ist es wirklich wahr (was ich denke, urteile etc.)

Und wenn meine eigene Antwort gleichklingen mit dem was ich tun möchte, dann gibt es keine sogenannten Gewissensbisse. Ich folge meinem eigenen Karma.

Die Gewissensbisse können aber ganz schön hartnäckig sein.  Wer möchte schon von so einem Gewissen gebissen sein? Obwohl es reine Gedanken sind, die wir selbst steuern können. Erstaunlich. Wenn du es einmal geschafft hast, einen Biss aufzulösen, werden die anderen viel einfacher. Denn 70% unserer Gedanken, also das was wir wie denken sind Gewohnheit. Stell dir das mal vor. Welches Potenzial, wenn man die Gewohnheit einfach ändert. Einfach nicht mehr die Werte-Schablone anderer ansetzt, sondern die eigenen. Das nenne ich Freiheit, Freisein in meinem eigenen Kopf.

Manchmal frage ich mich, ob man tatsächlich am Lebensende solche Gedanken hat wie «Habe ich mich immer korrekt verhalten?» oder «Haben die anderen eigentlich gemerkt, dass ich oft in ihrem Sinne gehandelt habe?»

Missverständnis trotz bestem Gewissen

Kennst du das? Du tust etwas aus bestem Wissen und Gewissen und wirst völlig missverstanden. Dein Gegenüber versteht dich völlig falsch und hat nun die Meinung von dir, die du absolut vermeiden wolltest. Einfach, weil der andere dich eben so sehen will, oder weil’s dumm gelaufen ist, ein Missverständnis das nächste jagt. Da könnte ich jetzt ewig drüber philosophieren. Das ist mir schon so oft passiert. Oder auch. Jemand spricht über eine Person negativ und du denkst (und sagst hoffentlich) «Hä, die Person ist ganz anders in  meinen Augen».

Was heisst das wohl für diese Gewissensfrage? Für mich bedeutet es, dass Gewissen etwas ist, womit man umgehen können muss. Und anderen ihre Erwartung abgeben, denn sie gehören nicht dir.
Kurz checken, aber dann wieder abgeben. Es ist nur eine Momentaufnahme aus einem einzigen Blickwinkel vielleicht. Du wirst nie wissen, was die anderen denken darüber. Und musst es eigntlich auch nicht.

Wenn das Gewissen ein neues Objekt sucht

Letzens hatte eine Person mir gegenüber ein schlechtes Gewissen. Ich sagte ihr, «ist nicht schlimm, es ist alles gut, wie es ist.» Zum Glück hat die Person mir geglaubt und konnte dieses Denk-Ding beruhigen. Aber stell dir vor. Ein paar Tage später erzählte mir die Person, sie habe nun ein schlechtes Gewissen einer anderen Person gegenüber. Wegen der gleichen ! Sache. Ist das nicht crazy?

Das Gewissen scheint also immer ein «Objekt» zu suchen, wo es «gewisseln» kann. So kannst du dein Leben weitermachen und immer ein schlechtes Gewissen haben, für all die Dinge die du tust oder nicht tust. Oder du hast eben «immer» ein gutes Gewissen, bist mit deinen eigenen Handlungen im Reinen.

Vielleicht ist das Gewissen ja gar nicht in Engelchen und Teufelchen unterteilt, sondern in richtig und falsch, aber für mich, nicht für andere. Denn jeder Kopf, jede Erwartung, jede Wertvorstellung ist so individuell. Die können wir gar nicht bedienen. Wir kennen nur unsere eigene komplexe Welt. Die ist schön.

Karikatur von Bernd Zeller: über schlechtes Gewissen beim Schokoladeessen. Zwei Frauen im Gespräch, eine isst Schokolade und sagt "Nach jedem Schokoriegel muss ich etwas Böses tun, um das schlechte Gewissen umzuleiten."
Bild Bernd Zeller: Karikatur über schlechtes Gewissen beim Schokoladeessen.

Ein Gedankenkonstrukt von anderen

Wenn ein Gewissen besonders aktiv ist, spielt es womöglich keine Rolle, ob es ein gutes oder ein schlechtes ist. Es denkt einfach nur ständig darüber nach, was richtig und falsch in den Augen anderer wäre. In den Augen anderer!

Das Lustige daran, in diesem Gedankenspiel, wissen wir nie, was die anderen eigentlich denken oder sagen würden, denn wir konfrontieren sie nie mit unserem Tun. Es bleibt immer nur ein Gedanken-Konstrukt. Eines das nur uns selbst belastet, nie aber die anderen. Weg damit!

Ich hatte immer ein gutes Gewissen – Nein!

Am Tag X, wenn wir die Welt verlassen, sagt man dann «Ich hatte immer ein gutes Gewissen». haha, oder «ich hatte ein schlechtes … wegen…» Ich denke ja, dass man in diesem Moment wo alles sich auflöst, denken sollte. «Hey schön wars, ich habe geliebt was ich getan habe. Ich habe gelernt, ich habe selbst rausgefunden, was für mich richtig ist. Ich bin meinem Herzen gefolgt. Ich liebe das, was ich jetzt tue und loslasse. Ich weiss nun.» Dieses Lernen übers Leben hätten wir womöglich nie erfahren, hätte wir immer die Moral-Vorstellungen anderer befolgt. Übrigens ist Moral nicht genau definiert, denn sie ist subjektiv.

Ich hoffe von Herzen, dass meine Freundin Iris (t 2012) in ihren letzten Bewusstseinsmomenten einfach nur Wissen gespürt hat, ohne Wertung und Gewissen. Jedenfalls hat sie in ihren letzen Lebenswochen oft erwähnt, dass «Es egal ist, was andere denken».

Ich denke so oft daran, wie sie einfach eingeschlafen ist und sie hatte diese grosszügige Gelassenheit. In ihren letzten Tagen dachte ich oft, sie ist erleuchtet.

Nochmal zurück zu Wikipedia. Dort fand ich Denkfutter, dass das Denken durchaus wert ist. In diesem Sinne, viel Freude beim Denken und dem Twist mit deinem individuellen Gewissen:

schnipp-schnapp 8<—————–

Die ethische Form des Gewissens tritt dort auf, wo zwei moralische Forderungen oder Handlungsweisen gleichberechtigt nebeneinander stehen und das Individuum in eine Pflichtenkollision treiben. Nun stehen sich Sittenkodex und das persönliche Gewissen als unvereinbar gegenüber. Der Betroffene kann zum ersten Mal erleben, dass es einen Unterschied zwischen der traditionellen und konventionellen Moral und dem Gewissen gibt. Auch zeigt sich, dass die Sitte selbst ihm hier keine befriedigende oder überhaupt keine Antwort und Hilfe geben kann, er erlebt seine Situation als höchst individuell. Ist der Betroffene bereit, seinen Gewissenskonflikt auszutragen, so mündet dies in einen neuartigen, individuellen Urteilsakt, der auch als schöpferische Leistung verstanden werden kann. Dabei ist dem Ausführenden klar, dass die Gesellschaft sein neues Handeln nicht gutheißen oder billigen wird. Er spürt aber, dass der bequeme Weg der sittengemäßen Entscheidung, durch Unterdrückung der Gewissensinhalte, langfristig in Krankheit und persönliche Entfremdung führen muss.

Aufgrund dieser hohen, autonomen Dynamik, mit welcher sich das ethische Gewissen auch gegen die traditionelle Moral durchzusetzen weiß, ist es als „Vox Dei“, als Gottesstimme zu verstehen. Es setzt sich gleich einer göttlichen Intervention auch gegen den Willen des Individuums durch. Nicht der Mensch hat ein Gewissen, sondern das Gewissen hat den Menschen.

Nachtrag: 4.10.2015 Da gab es ein Event «Ist das Gewissen weiblich» (finde ich zwar eine komische Frage, aber offenbar, bewegt genau diese) Elisabeth hat auf ihrem Blog einen zusammenfassenden Beitrag drüber geschrieben.

Nachtrag: 13.09.22 Die Welt ist heute eine andere. Corona, Umweltsituationen, Energiemangel und ein naher Krieg haben die Menschen in eine Art kollektive Moral-Keule verwandelt.

Heute scheint es mir wichtiger denn je, mit meinem eigenen Gewissen zu agieren, denn die Gesellschaft hat sich gerade in der Corona-Zeit nicht immer als gute Wegweiserin gezeigt.  Beurteilung sehr persönlicher Fragen werden öffentlich gemacht und angeprangert. Ich bin dankbar, denke ich schon länger über mein Gewissen nach und trainiere so meine eigene Toleranz. Mir und anderen gegenüber.