Post von Hanni_Netgern
Versicherungsvertreter, die fiktive Horrorgeschichten erzählten, in denen ich die Hauptrolle spielte,
hatten früher gute Chancen bei mir. Das Ergebnis: ich war hoffnungslos überversichert und bereute meist jeden neuen Abschluss. Inzwischen beschäftige ich mich mit den Tücken unseres Denkinstruments und bin nicht mehr so leicht mit Angst zu manipulieren.
Angst funktioniert, wenn man sie nährt und kann schnell die Kontrolle über unser Denken und Handeln übernehmen. Ein Teil unseres Geistes, der Intellekt ist mit erdachten Notfallplänen zur Stelle.
Was passiert, wenn die Angst Menschen beherrscht?
– es geschieht etwas, oder wir hören eine traurige oder gefährliche Geschichte
– unser Intellekt ersetzt den Hauptakteur (gedanklich) vorzugsweise mit seinem Besitzer (noch lieber, wenn er was ähnliches erlebt hat)
– der Gedanke wird fortlaufend wiederholt und verändert so seine Energie (!)
– er wird fühlbar – also in seiner neuen Form eine Art Gefühl
– Adrenalin (und weitere Botenstoffe) wird ausgeschüttet und involviert neben dem Denken auch den Körper (fühlen und unwohlsein)
– in diesem Zustand können wir uns auf nichts anderes konzentrieren, alle Aufmerksamkeit gilt Notsituation (Angst)
– ist dies einmal erlebt worden, kann es sein, dass später bei ähnlichen Situationen zuerst die Emotion (biochemische
Reaktion und erst danach die Logik einsetzt.
– in kurzfristigen Ereignissen (also mit gerechtfertigter Angst) ist der Ablauf schneller und teils umgekehrt
Nun ist es nicht mehr nur eine Aufgabe des Geistes sonders des ganzen Körpers, die Angst zu kontrollieren oder ihre Kraft zu nutzen (bei realer Gefahr) oder auch abzubauen (bei Entwarnung) Gut geht das mit bspw. Schreien, Rennen oder einem grossen Kraftaufwand. Im Yoga erlernen wir Techniken, wo man schon beim ersten Gedankenimpuls (sogenannten Vrittis – Gedankenwurzeln) identifizieren, lenken, abgeben oder auch verändern können. Natürlich gibt es unzählige Arten und Auslöser für Angstzustände oder Panikattacken. Z.B. wenn sie aus chronischer Überlastung oder Traumatas hervorgeht. Dann lohnt es sich, die Ursachen anzusehen und erst dann die Mechanismen. Auf diese kann ich hier nicht eingehen, denn jede Ausprägung ist anders und sehr persönlich. Das können Psychologen wohl besser. Beeindruckend finde ich, Kinder zum Thema Angst zu beobachten. Dabei kann man nur lernen.
Was mir heute aber wichtig ist, ist unser Umgang und die Werbung bzw. Kommunikation mit Angst.
Mit Angst für das Gegenteil werben.
Auf deutschen Strassen werben/mahnen Plakate schon seit längerem mit Unfallbildern oder Todeszeichen oder trauendernden Menschen.
Die Message ist oft auch direkt an Motorradfahrer gerichtet (im Schwarzwald, hab leider kein Foto). Rast nicht (allein das «nicht» ist destruktiv) sonst droht dies oder jenes. Und das wird dann bildlich dargestellt.
Bildquelle: runter-vom-gas.de
Diese Kommunikation ist nicht nur kontraproduktiv sondern finde ich schlicht falsch:
1. Als Motorradfahrer nimmt man 100%-konzentriert am Verkehrsgeschehen teil, plakative Bilder mit Botschaften (in Kurven!) lenken ab
2. Die meisten Unfälle mit beteiligten Zweiradfahrern entstehen, weil Autofahrer sie übersehen (bestimmt auch durch Kurven schneiden und den nötigen Platz für saubere Kurventechnik nehmen. Dies nur eine herzliche Bermerkung am Rande.
3. Angst erzeugt eine Reaktion im Geist und im Körper und später die Gegenmassnahme
4. Die Message (von manchen Plakaten) richtet sich nur an eine Gruppe Verkehrsteilnehmer, die Zweiräder, und legt damit im Vorfeld mögliche Schuldige fest. Alle anderen fühlen sich bestätigt und nicht aufgefordert selbst aufmerksam und rücksichtsvoll zu fahren.
5. Motivierende Aufklärung und positive Kommunikation sind erfolgsversprechender, weil ein Angegriffener
sich nicht angesprochen fühlt, der Geist blockt Vorwürfe ab.
6. Sind wir gewöhnt auf Plakaten zu etwas aufgefordert zu werden. Plakate = Werbung in unserem Unterbewusstsein.
Mich überrascht das Vorgehen von Kommunikationsprofis. Von diesen Berufsgruppen möchte ich etwas mehr Kenntnis
über das menschliche Denken erwarten dürfen. Bitte keine Interpretationen: ich finde rücksichtsloses Rasen voll daneben, mir gefällt nur die Kampagne nicht. Absolut nicht.
Es gibt auch andere Meinungen dazu, wie auf dem Blog von Angela Sauer oder ein alter Beitrag in der Welt online.