Hä, Bob Dylan bekommt den Literatur-Nobelpreis? Ich war doch einigermassen verwundert, aber nur im ersten unreflektierten Moment. Ich hab es in Twitter gelesen und somit auch die vielen negativen Kommentare dazu. Viele belesene Menschen, für die Literatur «etwas anderes» ist, sogar Marcel Reich-Ranicki wurde bemüht, «was er wohl sagen würde».
Im Alltagstrudel hab ich dann nicht mehr an diesen Preis gedacht, bis abends Robi davon sprach «Wow, er ist ein Poet, absolut verdient». Sowas in der Art sagte er. Dank meinem quasi wandelnden Musik-Lexikon hab ich dann eine echte Meinung dazu entwickelt, obwohl es mir noch am Vormittag irgendwie egal war.
Nun hat sich das Thema gedreht. Von salopp zusammengefasst «Bob Dylan sei nicht würdig» sind wir inzwischen bei «… ist unhöflich und arrogant»-Headlines angekommen. Jetzt wird es interessant für mich und ich denke (nicht nur) heute oft an das Wort ‹Moralisten› (Susann Klossek hat mich mich vor Jahren inspiriert, ich glaube durch einen Facebook-Post, darüber vertiefter nachzudenken).
«Gib gefälligst zurück, was du bekommen hast, oder wenigstens etwas.»
Ich hab schonmal darüber geschrieben, dass ich es geizig finde, immer nur zu geben. Ich kenne sehr liebe Menschen, die nicht in der Lage sind, um Hilfe zu bitten oder gar welche anzunehmen, ohne direkt wieder «etwas zurückzugeben». Hier ist evtl. der Kern dieses Phenomens:
Dankbarkeit ist keine Pflicht zum Zurückzahlen
Versteht mich nicht falsch, bitte. Ich finde es sehr schön, wenn man jemandem etwas Gutes tut und dafür dann (überraschend) eine schöne Geste erhält. Ein Dankeschön, eine Umarmung, ein dankbarer Blick, eine Karte, eine Whatsapp Nachricht nach einem gemeinsamen Abend, eine Blume, ja auch ein Goldbarren ist nett. Aber, wenn es nur eine Höflichkeit ist, bedeutet es mir Null. Höflichkeiten helfen uns, friedlicher zusammenzuleben, aber sie verdecken oft auch nur wahre Meinungen und Gefühle. (vielleicht dazu ein andres mal mehr).
Ich fühle mich nicht verpflichtet, immer alles in gleichem Mass zurückzugeben. Das Sprichwort «Auge um Auge» hab ich als Kind nie verstanden. Heut immer noch nicht. Ich habe es gerade gegoogled und hoffe, es handelt sich um einen Übersetzungs- oder Verständnisfehler wie in so vielen alten Schriften.
Aber das Augen-Dingens handelt eher von negativen «Geschenken». Ich bleibe mal bei gutgemeinten Gaben. Wäre es unsere Pflicht, dankbar zu sein, müssten wir jemanden auch lieben, NUR weil diese Person uns liebt. Wir alle kennen Lebenssituationen, wo das eben genau nicht so ist. Es reicht nicht, einfach zurückzulieben, bzw. es ist gar nicht möglich. Die Freude oder Dankbarkeit darüber, ist etwas anderes. Es ist nicht Liebe.
Wäre es unsere Pflicht, müsste wohl auch jeder, dem wir einen Gefallen tun, uns genau den gleichen «Wert an Gefallen» zurück geben. Sonst wüssten wir den Gebenden ja nicht zufrieden. Umzugshelfen bedeutet für mich nicht zwangsläufig, dass man das Gleiche zurückgeben kann und muss. Das Leben bietet uns gar nicht immer Gelegenheit dazu.
Selbstlos etwas Geben ist mehr Wert
Dankbarkeit einfordern für etwas, worum der andere hingegen nicht gebeten hat, empfinde ich schlicht als egoistisch. Man tut es für das gute Gefühl, was man zurück bekommt. Es ist ein wunderbares Gefühl etwas zu schenken. Aber am meisten Freude bereitet es, wenn es dem Beschenkten auch wirklich gefällt. Wir wissen es erst in dem Augenblick in dem die Person es bekommt. Und was passiert dann. Ist dieser Dankbarkeitsaugenblick oder gar die folgende Geste auch noch das Ziel des Schenkenden.
Hier scheint mir eine unsichtbare Grenze, die ich kaum erkennen oder beschreiben kann. Ich hatte letztens ein Gespräch mit einem guten Freund. Er sagte «Selbstlos ist doch nicht erstrebenswert, oder doch?» Ich hatte nicht wirklich eine Antwort parat, habe aber ein paar Tage darüber nachgedacht.
Vielleicht: egolos statt selbstlos
Im Yoga sind wir auf der Suche nach dem Selbst (dem wahren Selbst, oder auch Wesen, es wird auch beschrieben mit göttlicher Natur ). Yogis wollen es erkennen, erleben und darin ruhen. Es ist das eigentlich grosse Ziel nahezu aller yogischen Übungen und vieler philosophischen Ansätze. Bei dem Wort selbstlos, fehlt also das Selbst. Nicht gut.
In der Alltagssprache ist mit selbstlos wohl das Ego gemeint. Also egolos. Das ist für mich absolut erstrebenswert. Das Ego verstehe ich als etwas «Aufgeladenes» etwas, womit sich ein Mensch identifiziert. Das kann zu einseitigen Haltungen führen und somit auch zu wenig Toleranz. Das Ego «kann» noch viel mehr, auch Gutes, aber lassen wir das mal beiseite. Egolos könnte also heissen, etwas ohne das Ego zu befriedingen (etwas zu erwarten) für andere zu tun. Und auch glücklich sein, wenn der andere es eben nicht goutiert
Ich lasse also den Literaturpreis das sein, was er sein kann. Eine Anerkennung für eine grossartige Leistung, die vermutlich Charaktereigentschaften und Egos der Beteiligten überdauert und hänge noch eine kleine Leseempfehlung zur Meinung von Wolf Biermann an.
Achso, einen Song noch, bitte.
Times They are a change
….Come writers and critics
Who prophesize with your pen
And keep your eyes wide
The chance won’t come again
And don’t speak too soon
For the wheel’s still in spin
And there’s no tellin› who
That it’s namin’…